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Fahrradklimatest 2014 in Halle (Saale) und Merseburg

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Schmale Radwege, schlechte Oberflächenbeschaffenheit, Hindernisse und keine Rücksicht auf den Radverkehr - Realität in Halle

Schmale Radwege, schlechte Oberflächenbeschaffenheit, Hindernisse und keine Rücksicht auf den Radverkehr – Realität in Halle (Foto: V. Preibisch)

Beteiligung:

Es beginnt positiv. In Halle ist die Beteiligung gegenüber 2012 um ca. 50 % auf beachtliche 661 Teilnehmer gewachsen, Merseburg ist erstmals mit 56 Teilnehmern die Grenze für eine repräsentative Auswertung erreicht worden. Das wachsende Interesse an Radverkehrsthemen spiegelt sich in Halle am Platz 5 von 12 vergleichbar großen Städten bei der Beteiligung wieder.

Eine ausführliches Gespräch zum Fahrradklima in Halle (Saale) gibt es bei Radio Corax: http://lokal.radiocorax.de/fahrradfahren-in-halle-ein-gespraech-mit-volker-preibisch-vom-adfc/

Ergebnisse

Leider setzt sich das überdurchschnittliche Interesse nicht in überdurchschnittlich guten, oder gegenüber 2012, verbesserten Bewertungen des Fahrradklimas in Halle fort. Nur bei einer von 32 Bewertungskategorien, der Öffnung von Einbahnstraßen kann Halle mit der Note 2,8 von bis zu 6 möglichen auftrumpfen. Beim Fahrraddiebstahl (4,8), den Konflikten mit Fußgängern (3,8) und den Ampelschaltungen (4,3) werden zwar bundesweite Durchschnittswerte erreicht, dies können aber keinen Grund liefern sich auf diesen Bewertungen auszuruhen. Der gute Wert für die Öffnung der Einbahnstraßen lässt sich auch objektiv nachvollziehen, weil in den vergangenen Jahren weitere wichtige Öffnungen, z. B. in der Innenstadt, erfolgten.

Die größten negativen Abweichungen vom Bundesdurschnitt der Städte über 50 Tsd. Einwohner zeigen sich bei der Fahrradmitnahme im ÖPNV mit 0,9 Punkten Differenz und der Bewertung 4,5. Die Bewertung war schon 2012 schlecht, u. U. spielen aktuell auch die Probleme auf der S-Bahnstrecke nach Leipzig eine Rolle. Das leicht verbesserte Angebot an öffentlichen DB-Bikes (wer kennt das?) seit 2012 kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es bundesweit überzeugendere Angebote gibt, deshalb ist die Note 4,3 und (0,7 Punkte schlechter als der Durchschnitt) verständlich.

Die besten Noten gibt es, bei der Erreichbarkeit des Stadtzentrums (2,8), beim zügigen Radfahren (3,0) und bei den besagten geöffneten Einbahnstraßen. Radfahrer, die täglich den Frankeplatz passieren müssen oder auch den, zumindest nach 9:00 Uhr, umständlichen Weg vom Hauptbahnhof in die Innenstadt nutzen, dürften bei diesen Noten den Durchschnitt drücken. Trotzdem ist das Fahrrad das schnellste Verkehrsmittel auf Strecken von bis zu 5 km in Halle, das erklärt die guten Noten.

Das in Halle so gut wie keine Werbung für das Radfahren gibt (4,9), kein Winterdienst (5,3) und selten Reinigung auf Radwegen stattfindet (4,7), das Falschparken auf Radwegen alltäglich ist (5,1), führt zu entsprechend schlechten Noten und dürfte niemand überraschen. Am wenigsten den Stadtrat, der es abgelehnt hat für den Winterdienst auf Radwegen Mittel bereit zu stellen. Die Ausschilderung an Baustellen ist auch häufig mangelhaft (4,9), man denke z. B. an die monatelang praktizierte inakzeptable Umleitung an der Paracelsusstraße Richtung Steintor über die Kopfsteinpflasterstraßen des Paulusviertels.

Plausibel ist dann auch das der Stellenwert des Radverkehrs gering eingeschätzt wird (4,7). Bestätigung findet diese Einschätzung in dem Fakt, dass es in Halle 2015 wieder keine Haushaltsstelle für Radverkehr gibt, selbst kleinste Reparaturen, wie z. B. bei dem Ersatz von Radwegeschildern, dauern mitunter Monate. Eine Infotafel für Radfahrer am Hauptbahnhof lässt trotz Stadtratsbeschlusses seit Jahren auf sich warten. Anderes als die mangelhafte Breite (4,8) und die Oberfläche der Radwege (4,5) lässt sich nicht nur mit hohem finanziellem Aufwand und über eine längere Zeit verbessern. Fahrradstreifen und Tempo-30-Zonen sind sehr kostengünstig einzurichten und würden die Konflikte mit Kfz (4,4) reduzieren und das Sicherheitsgefühl (4,4) verbessern. Aber es gilt auch, wer kein Geld bereit stellt, kann auch nicht mit den nötigen Verbesserungen anfangen. Auf einigen Routen wird das Stadtbahnprogramm Verbesserungen bringen, für viele andere aber nicht.

Aber selbst Verbesserungen, wie der sanierte Belag in der Kleinen Ulrichstraße oder der teure neue Radweg an der Kröllwitzer Straße werden nicht systematisch oder nur zurückhaltend kommuniziert. So bleiben auch die offensichtlichen Verbesserungen bei den Radabstellanlagen (4,2), man sehe sich nur die funktionalen neuen Abstellanlagen vor dem neuen Eisdom oder der Erdgas Sporthalle an, lange verborgen. Diese Anlagen können zwar nicht die große Not in vielen Mehrgeschoßwohnungsgebäuden lindern, sind aber immerhin ein guter Neuanfang nach der Enttäuschung am Erdgasstadion (anfangs 13 jetzt 30 Bügel für 15.000 Zuschauer). Eine Verankerung der Radabstellanlagen in der Bausatzung der Stadt wäre ein nächster konsequenter Schritt.

Vorbildliche Radabstellanlagen am Eisdom in Halle (Foto: V. Preibisch)

Vorbildliche Radabstellanlagen am Eisdom in Halle (Foto: V. Preibisch)

Alles in Allem landet Halle mit einer Durchschnittsnote von 4,21 in Sachsen-Anhalt an zweitletzter Stelle von 12 Kommunen, vor Aschersleben und bundesweit auf Platz 33 von 39 Städten über 100.000 Einwohner. 2012 war das noch Platz 27 von 38 beteiligten Städten. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Schritte in Richtung radverkehrsfreundliche Stadt, die in Halle gemacht werden, kleiner sind als anderswo. Man denke nur die Partnerstadt Karlsruhe mit einem finanziell untersetzten ambitionierten Programm zur Erhöhung der Radverkehrsanteile oder an Potsdam, wo die Winterräumung von Radwegen selbstverständlich geworden ist.

Die Ergebnisse der Befragung von 674 Hallensern, die vorwiegend online und nur über einen Zeitraum von zwei Monaten geantwortet haben, sollte die Politik in Halle endlich ernster nehmen (neben dem Fahrradklimatest 2012 hatte schon die Evaluation des Wuppertal Institutes nach der „Kopf an Motor aus“ Kampagne 2009 Hinweise auf besondere Defizite bei der Infrastruktur in Halle geliefert) und die Prioritäten in der Kommunalpolitik neu ordnen. Hier geht es schließlich um den Alltag von zehntausenden Hallensern und die Zukunftsträchtigkeit der ganzen Stadt. Nicht alles ist dabei mit viel Geld verbunden, die Kontrollen von Falschparkern bringen auch Einnahmen. Eine bessere Bauqualität müsste bei einer für teures Geld neu ausgebauten Straßen wie der Großen Ulrichstr. gewährleistet werden können und würde den Komfort des Radverkehrs (Note 4,6) erhöhen. Von Komfort wird aber noch lange nicht auf dem vielen harten Porphyr Pflaster Straßen in Halle geredet werden können. Noch viele Sanierungen wie im Mühlweg oder in der Lessingstraße stehen an.

Merseburg

Die Merseburger Radfahrer stellen ihrer Stadt ein vergleichsweise gutes Zeugnis aus (Platz 3 von 12 in Sachsen-Anhalt, Platz 173 von 292 Städten unter 50.000 Einwohner bundesweit).

Ausreißer nach oben sind die Fahrradmitnahme im öffentlichen Verkehr, die Breite der Radweg und die Presse, Ausreißer nach unten die fehlenden öffentlichen Fahrräder und Abstellanlagen, Fahrraddiebstahl und Winterräumung werden auch als Probleme gesehen. Erstaunlich ist das trotz vergleichsweise guter Bewertungen im Vergleich zu Halle, die Bewertung zu der Feststellung „alle fahren Fahrrad“ mit 3,1 schlechter ausfällt als in Halle mit 2,9. Werbung für das Radfahren findet aber auch nicht statt (4,9)

Über 100.000 Teilnehmer bundesweit

Der ADFC-Fahrradklima-Test ist die größte Befragung zum Radfahrklima weltweit und wurde im Herbst 2014 zum sechsten Mal durchgeführt. Er wird gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans. Über 100.000 Menschen stimmten bundesweit ab – eine Steigerung von 25 Prozent gegenüber dem letzten Test im Jahr 2012. Die Zunahme führt der ADFC auf das wachsende Interesse am Thema Fahrrad und Radverkehr zurück. Die bundesweiten Ergebnisse wurden heute in Berlin vorgestellt.

Über den ADFC

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit mehr als 145.000 Mitgliedern die größte Interessensvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Der ADFC Regionalverband Halle setzt sich insbesondere für gleichwertige Beachtung des touristischen und des Alltags-Radverkehrs, für die Berücksichtigung der Empfehlung für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) bei Straßenbauprojekten, für mehr und bessere Radabstellanlagen und für die Bewusstmachung, dass Radverkehr die alternative Fortbewegungsmöglichkeit für eine lebenswertere Stadt ist, ein. Die detaillierten Ergebnisse des Fahrradklima-Tests 2014 und bundesweite Trends finden Sie auf www.adfc.de/presse.

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